1692: Massenhysterie um die Hexen von Salem - WELT (2024)

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Nachdem die ersten englischen Kolonisten 1607 in Nordamerika gelandet waren, entstanden längs der Küste im heutigen US-Bundesstaat Massachusetts zahlreiche Siedlungen. Die anfangs friedlichen Beziehungen zu den indianischen Ureinwohnern mündeten bald in blutige Konflikte. Ende des 17. Jahrhunderts konnten sich die Siedler nur noch mit schussbereiter Waffe durchs Land wagen, weil überall feindliche Indianer lauerten. Selbst bei Feldarbeiten hatten die Farmer eine geladene Waffe immer in Griffweite.

Diese Situation einer ständigen Bedrohung zeitigte auch psychologische Auswirkungen. Verstärkt wurde das durch eine Religion, welche die Siedler aus England mitgebracht hatten. Ihre Anhänger nannten sich „Puritans“ (die Fehlerlosen/Reinen), lehnten jede kirchliche Autorität ab und wurden von ebenso wortgewaltigen wie fanatischen Laienpredigern beherrscht. Kernstück des Puritanismus, einer besonders rigiden Spielart des Calvinismus, war der unbedingte Glaube an die eigenen Auserwähltheit. Nur Puritaner seien von Gott auserkoren – alle anderen Rassen und Religionen wären minderwertig und ihre Bekämpfung nicht nur erlaubt, sondern geradezu geboten. Da die Indianer schon wegen ihres Erscheinungsbildes für europäische Augen befremdlich wirkten, hatten puritanische Prediger leichtes Spiel, sie als Teufel und Dämonen zu verdammen.

Im strengen Winter 1691/92 bekam die junge Abigail Williams, Nichte eines Predigers aus dem Ort Salem nahe Tremont (heute Boston), hysterische Anfälle. Sie kroch auf dem Boden herum, stammelte unverständliche Worte, versteckte sich, wenn ein Mann den Raum betrat. Bald verhielt sich ihre Cousine Betty Parris ebenso seltsam. Dann folgte eine Bekannte, Ann Putnam, und binnen weniger Wochen führten sich acht junge Mädchen aus Salem völlig verrückt auf. Ihre erschreckten Familien waren überzeugt, hier könne nur der Teufel seine Hand im Spiel haben. Man begann die Jugendlichen zu bedrängen, sie sollten Namen derjenigen nennen, die sie verhext hätten.

Gesellschaftliche Außenseiter werden zum Sündenbock

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In einer Atmosphäre gereizten Misstrauens gaben die Mädchen schließlich drei Personen an: Sarah Good, eine offenbar geistig behinderte Bettlerin, die häufig laute Selbstgespräche führte, Sarah Osborne, eine etwas schrullige alte Dame, sowie Tituba, eine indianische Sklavin. Diese drei gesellschaftlichen Außenseiter passten gut ins Hexen-Schema und wurden am 1. März 1692 ins Gefängnis geworfen. Die Aussagen dieser verwirrten und verängstigten Frauen setzten eine mörderische Spirale in Gang.

Immer mehr Leute gerieten in Verdacht. Abigail Williams und ihre vermeintlich besessenen Gefährtinnen sprachen vom „Schwarzen Mann“, der sie heimgesucht habe. Nun wanderten auch männliche Verdächtige ins Gefängnis. Da in den nordamerikanischen Kolonien weder ordentliche Gerichte, noch eine zentrale Verwaltung existierten, verlief die Untersuchung völlig willkürlich. Das englische Mutterland war weit weg und den dort regierenden König Wilhelm III., gerade erst durch die „Glorreiche Revolution“ auf seinen usurpierten Thron gelangt, plagten ganz andere Sorgen.

Inhaftierungen, Folter und Todesurteile

In Salem griff die Hysterie um sich. 16 Frauen behaupteten mittlerweile verhext zu sein. Mehr als 200 Angeklagte saßen in Haft, deren Bedingungen so erbärmlich waren, dass vier von ihnen im Kerker starben. Auch ein vierjähriges Mädchen wurde verhaftet. Unter Vorsitz von William Stoughton verhängte ein Sondergericht zahlreiche Todesurteile. Als erste wurde am 10. Juni 1692 Bridged Bishop gehängt. Neun Tage später folgten fünf weitere Delinquenten, darunter die Bettlerin Sarah Good. Am 22. September wurden acht Personen gehenkt. Auch ein angesehener Prediger, George Burroughs, musste sterben.

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Während der Verhöre wurde auch gefoltert. Besonders schlimm traf es Giles Corey, einen alten Farmer, der sich weigerte, belastende Aussagen zu machen. In Ermangelung klassischer Folterwerkzeuge wurde gegen ihn die aus den französischen Kolonien stammende Tortur „Peine fort et dure“ angewandt: der Delinquent wurde solange mit schweren Steinen zugedeckt, bis er gestand oder qualvoll erstickte. Der bedauernswerte Corey starb erst nach drei Tagen.

Hexenprozesse von König Wilhelm III. ausgesetzt

Das Geschehen um die „Hexen von Salem“ erreichte mit der Zeit auch wirtschaftliche Dimensionen. Da immer mehr Farmer in Haft saßen, verkamen die Felder, starb das Vieh. Viele vernachlässigten ihre Arbeit und lungerten lieber bei den zahlreichen Prozessen und Hinrichtungen herum. Handwerker verließen mit ihrer Habe die gefährliche Gegend, ehe auch sie in Verdacht gerieten und zogen in Richtung des aufstrebenden New York. Schließlich kam der örtliche Handel fast zum Erliegen und die Indianergefahr drohte unverändert weiter.

Jetzt entschloss sich London doch zum Handeln. König Wilhelm III. beauftragte den Gouverneur Sir William Phips im Januar 1693 mit einer genaueren Untersuchung. Die Hexenprozesse, denen schon 24 Menschen zum Opfer gefallen waren, wurden ausgesetzt. Phips brauchte ein Jahr, bis die Unschuld der Angeklagten feststand. Die letzten wurden Anfang 1694 entlassen.

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Die Hysterie von Salem ist bis heute schwer zu erklären. Manche Historiker meinen, die „besessenen“ Mädchen hätten unter Wahnvorstellungen gelitten, die auf eine Mutterkornvergiftung durch verseuchtes Getreide zurückzuführen wären. Das erklärt aber nicht das Verhalten der anderen Prozessteilnehmer. Wahrscheinlicher ist aber die allgemeine Bedrohungsangst als Ursache. Nicht zufällig gehörte zu den ersten beschuldigten „Hexen“ die Indianerin Tituba.

Die puritanischen Prediger behaupteten damals stets, junge Mädchen hätten sich heimlich mit Indianern zu teuflischen Ritualen vereinigt. Sie stellten die amerikanischen Puritaner als Armee Gottes dar, die von Satan und seinen Dämonen bedrängt werde. Dies ist eine Mentalität, die auch im 21. Jahrhundert bekannt anmutet.

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